Historische Dokumente

 

Es sind einige Briefe erhalten geblieben, die einen Eindruck davon vermitteln, wie es den Menschen in den Jahren 1944 bis 1948 erging.

 

Brief der Witwe Elisabeth Brems (damals 57 Jahre alt) vom September 1945

Den Brief schrieb die Witwe Elisabeth Brems (damals 57 Jahre alt) im September 1945 an ihren Stiefsohn Dominik. Neun Monate zuvor war ihr einziges leibliches Kind, ihre Tochter Katharina, 24 Jahre alt und Mutter dreier kleiner Kinder, zusammen mit Dutzenden anderer junger Tschestereger zur Zwangsarbeit fortgebracht worden, aber niemand wußte, wohin. Und Katharinas Mann Peter Krämer war inzwischen als Soldat gefallen, was Elisabeth Brems auch nicht wusste. – In dem Brief bittet Elisabeth Brems ihren Stiefsohn, nach dem Verbleib ihres Schwiegersohns zu forschen. Sie schreibt, es wäre „bitter wann er nicht zu seinen Kinder det komen die Mutter fon Kinder ist schon balt 9 monat furt, ich weiß nicht wo hin“. … „Mein fermegen ist das was ich und die Kinder an haben.“ … „5 Mal war ich schon da grang, wen du mich jetstt sehen dest mich balt nicht kenen ich bin ja mager.“ – Ein paar Wochen, nachdem sie diesen Brief schrieb, wurden Elisabeth Brems und ihre drei Enkel mit hunderten anderer Tschestereger ins Vernichtungslager Rudolfsgnad gebracht, wo alle vier Anfang 1946 starben. Sie hat wohl nie erfahren, dass ihre Tochter zur Zwangsarbeit in die Ukraine gebracht worden war. Erst nach fünf langen Jahren wurde Katharina 1949 aus der Zwangsarbeit entlassen und ging dann nach Österreich. – Der Original-Brief ist in der Fotogalerie, in der Rubrik „Sonstiges“, abgebildet.

 

Brief der Katharina Neidenbach (damals 44 Jahre alt) vom Januar 1946

Diesen Brief hat uns der im November 2017 verstorbene Landsmann Anton Neidenbach zur Verfügung gestellt. Es ist der „Abschiedsbrief“, den ihm im Januar 1946 seine damals 44jährige Mutter geschrieben hat. Sie war ein paar Tage zuvor bei Schnee und etwa 20 Grad unter Null aus dem Lager ihres Heimatorts Tschestereg ins Vernichtungslager Rudolfsgnad (von den Donauschwaben kurz „Rudolf“ genannt) gebracht worden. Anton, ihr jüngster Sohn (damals 16 Jahre alt) war nun als Letzter der Familie in Tschestereg verblieben. Die übrigen Familienmitglieder waren vom Krieg in die Fremde getrieben worden. Und die beiden verwitweten Großmütter waren schon ein paar Monate vor seiner Mutter nach Rudolfsgnad gebracht worden. – Die Mutter begann den Brief am 24. Januar und setzte ihn zwei Tage später auf der Rückseite des Blattes fort. Zum besseren Verständnis haben wir in Klammern einige Erläuterungen eingefügt. Hier also der Brieftext:

„ Liebes Kind,                                                                                      Rudolf 24. I.

wir sind glücklich (d.h.: trotz aller Strapazen) angekommen und gleich mit der Kurwatsch (Peitsche) in den Keller gepeitscht worden (wo sie eine Nacht lang im kalten Wasser stehen mussten). Das war eine furchtbare Reise. Wir haben paar Mal müssen umsteigen, und ein paar Schlitten sind umgefallen. Wir sind auch bei Rudolf, wie wir bei dem Damm runtergefahren sind, war so ein arger Schneehügel – und dort sind wir hineingeraten. Ich war ganz unten und habe bald (fast) gar nicht mehr können aufstehen. Das Kreuz tut mir noch weh.

Liebes Kind, die Großmutter ist sehr schwach. Sie kann nicht auf ihre Füße, keinen Schritt kann sie gehen. Aus ihren Füßen rinnt Tag und Nacht Wasser. Ist immer nass. Alle alten Frauen können nicht gehen von lauter Hunger und Mattigkeit. Alles Leid an Hunger – das Elend kann ich dir nicht mitteilen, was da ist. Alles so unrein. Nicht mal ein Lawor (Waschschüssel) für Waschen. Alles ist verlaust und verseucht mit den Flöhen. Die Unreinigkeit kann ich dir nicht mitteilen und die große Armut und Elend. Da müssen wir alle rechtlos zugrunde gehen.

Liebes Kind, wenn du von unserer Familie etwas erfahren tust, so teile es mir mit. Ich kann da vor Elend nicht lange aushalten. Wenn ich mir so etwas vorgestellt hätte, so wäre ich nicht hierhergekommen. (d.h.: Hätte ich geahnt, was mich hier erwartet, hätte ich provoziert, dass die Wachen mich erschießen. Ich hätte nur davonzulaufen brauchen.)

Liebes Kind, nimm dich gut in acht, dass du dich immer reinigen tust, und sei immer brav. Vielleicht kannst es erleben. Geh, verlang dir nur zu essen, wo es möglich ist. Und wenn du mit unserer Familie triffst, so erzähle alles, wie und was. Ich schließe mit traurigem Herzen und tiefstem Elend mit vielen Grüßen von deiner tief trauernden Mutter. Gute Nacht. Die andere Großmutter und alle Verwandten sind noch gesund, weil sie haben noch immer etwas zu essen. Noch einen Gruß.

 Liebes Kind,                                                                                        Rudolf  26. I.

Ich teile dir mit, dass die Großmutter für immer eingeschlafen ist am 25. I. Sie hat ihres (ihr Leid) überstanden. Manchmal denke ich, wäre ich nur auch so weit. Anderes Mal denke ich: könnte ich nur zu dir fliegen, dass ich an deiner Seite wäre, weil du bist allein und verlassen so wie ich auch. Das ist eine bittere Welt. Nur gesund bleiben. Vielleicht können wir es doch aushalten. Wer ist jetzt auf meinem Platz? (gemeint ist wohl: was ist das wohl für eine fremde Person, die jetzt in unserem Haus Hausfrau ist?) Bekommst halt auch noch etwas zum Essen? Nur immer fleißig reinigen. Die schönsten Grüße von deiner tief trauernden Mutter. “

Die Briefschreiberin erkrankte bald darauf, und da die Krankenversorgung im Lager vollkommen ungenügend war, starb sie innerhalb kurzer Zeit, am 17. Februar. Bis der Sohn vom Tod seiner Mutter erfuhr, vergingen ein paar Wochen. Und es dauerte noch etwa ein Vierteljahr, bis er über Kuriere (den Donauschwaben war der Brief- und Telefonverkehr strengstens verboten) den Brief der Mutter erhielt.

 

Brief 3